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Keanu, 4 Wochen Praktikum im Druckereibetrieb, Cork, Irland

Grün hinter den Ohren hin und blau zurück

Es ist der Sommer 2021 und es ist ein Sommer wie jeder andere. Die Hälfte des Jahres ist vorbei und ich habe das Gefühl, dass mein Leben stillsteht. Ich bin 21 Jahre alt und frage mich, du wolltest dieses Jahr so viel verändern und jetzt sitzt du wieder nur zu Hause. Ich habe auf mein Regal geschaut, an dem ein Holzschild hängt, auf dem steht: "LIFE HAPPENS WHEN YOU GO AWAY". Ich wusste also, dass ich von diesem Ort wegmusste und mich auf den Weg machen musste, aber wohin? Plötzlich hatte ich einen Geistesblitz, es gibt dieses Programm der EU, bei dem man einen Monat lang in einem anderen Land leben und arbeiten kann. Erasmus+ hieß das Programm, und eine Organisation namens KulturLife aus Kiel bot genau das zu dem Zeitpunkt an, als ich es brauchte. Relativ kurzfristig schrieb ich mich also ein ohne genau zu wissen wo es hingeht.

Für Irland hatten sich die anderen Teilnehmer aus meiner Stadt entschieden, um genau zu sein Cork. Wo ist Cork eigentlich fragte ich mich? Ich ging ins Internet und zu meiner Überraschung handelte es sich um die zweit größte Stadt Irlands, ganz im Süden des Landes. Am Tag der deutschen Einheit, dem 3 Oktober sollte es losgehen. Es vergingen jetzt einige Monate in denen wir verschiedenen Papierkram erledigen mussten. Wir bekamen reichlich Zeit die benötigten Dokumente einzureichen und wenn wir fragen hatten konnten wir jederzeit anrufen weshalb wir uns gut betreut gefühlt hatten.

Der Tag rückte näher und wir erfuhren, in welche Gastfamilien wir kommen und in welche Praktikumsbetriebe wir gehen würden. Da ich bewusst darauf verzichtet hatte, einen Wunschpartner anzugeben, mit dem ich in einer Familie sein möchte, war es umso spannender. Drei Deutsche kommen also mit in meine Gastfamilie, ein Junge und zwei Mädchen, irgendwo verstreut aus Deutschland. Unsere Gastfamilie eine alleinstehende Frau aus Pinecroft, ein Stadtteil aus Cork. Meine Praktikumsfirma, ein Druckereibetrieb.

Es war der 2. Oktober und unsere Abreise stand unmittelbar bevor. Ich packte meinen Koffer für eine Zeitspanne, für die ich noch nie weg gewesen war, EINEN GANZEN MONAT, naja fast. Wo soll man da überhaupt anfangen? 4 stressige Stunden später und dank der hervorragenden Verstauungstechnik meiner Mutter hatte ich es geschafft, meinen Koffer zu packen. Nun gab es kein Zurück mehr, der Koffer war gepackt und der Flieger für die Teilnehmer aus meiner Stadt sollte um 6:20 Uhr in Hannover abheben, zunächst nach München und dann nach Dublin. Ich machte meine Augen für ein letztes Mal in Deutschland zu um ein bisschen Schlaf zu bekommen vor dem anstrengenden morgigen Tag. Der Wecker klingelte in frühen Morgenstunden und es ging los.
Ich machte mich auf den Weg nach Hannover zum Flughafen. Am Flughafen traf ich die anderen vier Teilnehmer aus meiner Stadt und wir gingen zum Check-in für den Flug LH2107 und dann in München für den Flug LH2516 nach Dublin. Um 9:45 Uhr Ortszeit landeten wir in Dublin, wir waren nun in unserem Zielland Irland. Von dort aus fuhren wir quer durch Irland nach Süden zu unserem Zielort Cork. Ich machte meine ersten Eindrücke und obwohl ich wusste, dass Irland die grüne Insel genannt wird, war ich überrascht, wie grün das Gras in der Landschaft ist. Die Landschaft war sehr dünn besiedelt und ich fragte mich wo die ganzen Städte sind.

Am späten Nachmittag kamen wir in unserem Zielort Cork an und ich wurde von meiner Gastmutter Eleanor am Busbahnhof abgeholt. Das erste Treffen war herzlich und wir fuhren direkt zu ihr nach Hause. Dort zeigte man mir mein Zimmer und ich lernte die drei anderen Deutschen kennen, die kurz nach mir ankamen. Wir lernten uns kennen und hatten unser erstes gemeinsames Abendessen, das unsere Gastmutter für uns vorbereitet hatte. Wir gingen früh ins Bett, denn am nächsten Morgen stand ein Stadtrundgang an und unser erster Arbeitstag.

Am nächsten Morgen wurde uns die Stadt gezeigt, alles in allem eine schöne Stadt mit vielen Bars, wie ich sofort bemerkte. Nach der Stadtführung wurden wir zu unseren Praktikumsbetrieben begleitet, ich war sehr aufgeregt, aber nachdem ich angekommen war und wieder herzlich begrüßt wurde, verflog die Aufregung schnell. Ich sollte kleinere Hilfstätigkeiten übernehmen, wie zum Beispiel Plakate laminieren, Dokumente kopieren und Kunden am Telefon bedienen. Meine Arbeitszeiten waren Montag bis Freitag von 10:00 bis 16:00 Uhr, eine sehr entspannte Arbeitszeit, wie ich fand.

Am Ende des ersten Tages traf ich mich mit meinem Zimmergenossen. Wir fragten uns, was wir an unserem ersten freien Abend machen sollten, für den Pub entschieden wir uns, was auch sonst. Ich trank mein erstes Guinness, das mir auf Anhieb sehr gut schmeckte. Dieser Tag sollte rückblickend eine Blaupause für den restlichen Monat werden. Am Wochenende gingen wir von nun an in verschiedene Pubs um die irische Trinkkultur kennenzulernen aber viel wichtiger, um Leute kennenzulernen. Da wir unter der Woche arbeiten mussten, haben wir unter der Woche keinen Alkohol getrunken. Wir lernten eine Vielzahl von Menschen kennen, nicht nur Iren, sondern auch Spanier, Italiener, Franzosen, die an ähnlichen Programmen wie wir teilnahmen. Wir wuchsen zu einer eisernen Gemeinschaft zusammen, und unsere Gruppe, mit der wir uns jedes Wochenende ins Nachtleben stürzten, wuchs bei Hochzeiten auf eine Größe von über 20 Personen aus jungen Leuten aus ganz Europa an.

Wer denkt, es ginge nur ums Trinken, hat meine Botschaft nicht verstanden. Es war das erste Mal, dass ich von so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen umgeben war, und wie lernt man Menschen am besten kennen? Wie wir alle wissen, bei einem Bier oder von mir aus auch bei einer Apfelschorle. Wir waren alle gezwungen, Englisch zu sprechen, weil wir alle verschiedene Muttersprachen hatten, was dazu führte, dass wir in kürzester Zeit sehr flüssig in Englisch wurden. Außerdem stellte man fest, dass die Menschen, die man traf, abgesehen von den unterschiedlichen Muttersprachen und dem Aussehen, genauso gute Freunde werden konnten wie die Menschen in Deutschland. Man lernte die Unterschiede zwischen den verschiedenen Kulturen kennen, die Essgewohnheiten, den Humor, aber vor allem auch die Gemeinsamkeiten. Nach ein paar Tagen hatte man nicht mehr das Gefühl, dass wir uns als Menschen aufgrund unserer Nationalität unterscheiden. Wir wurden beste Freunde, und jeder Tag, der bis zu unserer Abreise näher rückte, war schmerzhaft. Wir unternahmen gemeinsam Tagesausflüge zu Touristenattraktionen wie dem 4 Face Liar in Cork oder in die Nachbarstadt Cobh, wo es ein Titanic-Museum gibt.

Wir dachten nicht mehr an Deutschland, sondern genossen jeden Moment mit unseren neuen europäischen Freunden in Irland. Ich sage europäisch, weil ich mich plötzlich viel mehr als Europäer und nicht nur als Deutscher verstand. Wir waren Deutsche, Franzosen, Spanier, Italiener, aber vor allem waren wir alle eins: Europäer. Der provokante Titel dieses Erfahrungsberichtes soll genau das unterstreichen: Ich kam als relativ unerfahrener Mensch nach Irland, "grün hinter den Ohren", wie man so schön sagt, was Erfahrungen außerhalb Deutschlands angeht, und ich kam als Mensch zurück, der keine Hemmungen mehr hat, ins Ausland zu gehen und sich mit fremden Kulturen auseinanderzusetzen. Als politisch interessierter Mensch war ich mir der Bedeutung der EU bewusst, aber das Erasmus+ Programm hat dies noch verstärkt. Als ich am 30. Oktober unter Tränen Irland verließ, verstand ich mich zum ersten Mal in meinem Leben als Europäer und nicht nur als Deutscher und kehrte somit symbolisch "blau" wie die Flagge der EU nach Deutschland zurück.

Ich kann nur jedem, egal welchen Alters, empfehlen, an Erasmus+ teilzunehmen, wenn es sich anbietet. Der eigene Horizont wird sich erweitern und man wird keine Angst mehr vor neuen Eindrücken haben. Unsere Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren sehr verändert, flexible Menschen sind gefragt und dank der EU kann man eigentlich überall innerhalb der EU-Grenzen arbeiten. Ein kürzerer oder längerer Auslandsaufenthalt ist also nicht nur gut für euren Lebenslauf, sondern auch für euch selbst, um die eigene Angst vor der Arbeit im Ausland zu überwinden.

Keanu

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