Auslandsjahr USA: Die Erfahrungen einer Mutter
Elternbericht - Andrea über über das Schuljahr ihres Sohnes in den USA
Jahres-Programm "USA Classic"
Seit einem Monat ist unser Sohn nun wieder zuhause, zurückgekehrt nach einem elfmonatigen Aufenthalt in Nebraska, USA, ein geeigneter Zeitpunkt, um Rückschau zu halten. Am erstaunlichsten ist die Tatsache, dass nun alles schon vorbei ist. Es erscheint mir, als wäre es erst gestern gewesen, dass wir über den Bewerbungsunterlagen saßen, Formular um Formular ausfüllten, den Vertrag unterschrieben, das Vorbereitungswochenende erlebten und dann gemeinsam auf Infos zu Zielort und Gastfamilie warteten. Lange hat das Warten gedauert, für uns Eltern eine große Belastung, nicht zu wissen, wohin und zu welchen Personen unser Kind reisen würde. Unser Sohn war allerdings eher erleichtert, die Gastfamilie nicht zu früh zu kennen. Er wollte zum einen keine Erwartungshaltung aufbauen, zum anderen ist er kein großer Briefeschreiber und hätte ohnehin nicht gewusst, worüber er sich mit völlig Fremden hätte unterhalten sollen. Bis zum Frühsommer wussten wir dann immerhin schon, dass es in den Mittleren Westen gehen würde. Auch hier gab es wieder Unterschiede in der Wahrnehmung von uns Eltern ("Oh je, mitten in die Pampa, das hätten wir eigentlich nicht gewollt") und der unseres Sohnes, der sich wirklich offen auf das einlassen wollte, was da kam.
Als eine Woche vor Abflug dann endlich das ersehnte Fax mit den Angaben zur Gastfamilie kam (eine Familie mit drei Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 19, die noch eine weitere Gastschülerin aus der Ukraine aufnehmen würde), waren wir sehr erleichtert, auch wenn die Zeit nicht mehr reichte, noch engeren persönlichen Kontakt aufzunehmen.
So war die erste Woche, in der unser Sohn dann in den USA war, für uns zuhause eine höchst spannende Zeit, in der wir erst nach den ersten euphorischen Emails und Anrufen aufatmeten: gut angekommen, in Chicago ein interessantes Einführungsseminar gehabt, Mitreisende für den letzten Sprung gefunden, und endlich bei der Gastfamilie angekommen und auch dort schnell eingelebt. Die erste Aussage "Ich habe die beste Gastfamilie der Welt" ließ in uns dann endlich das Gefühl aufkommen, nun beruhigt in das Jahr schauen zu können, das unser Sohn weit weg von zuhause verbringen würde.
Die folgenden Wochen waren von Spannung geprägt: ständiges Warten auf Emails oder Anrufe, immer wieder auf Anzeichen auf Heimweh lauschen (Geht's ihm auch wirklich gut? Wie klappt der Start in der Schule? Hat er Freunde gefunden?), zuhause das leere Zimmer ertragen und immer wieder den Tisch doch für fünf statt nur für vier decken...
Einige Wochen hat es schon gedauert, bis wir uns an diesen Zustand gewöhnt hatten. Wir haben relativ häufig Kontakt gehalten (entgegen den Empfehlungen der Organisation, relativ häufig heißt 2-3 Emails pro Woche, 1-2 Telefonate im Monat); da unser Sohn aber wirklich nicht unter Heimweh litt und mit seinen Gedanken durchaus in den USA und nicht in Deutschland war, fanden wir das nicht problematisch.
Ungefähr im Oktober erlebte ich als Mutter dann eine Durststrecke: an die Situation hatte ich mich gewöhnt, Neuigkeiten gab es nicht mehr so viele, für unseren Sohn hatte der Alltag begonnen. Für mich hätte das Austauschjahr nun zu Ende sein können, ich vermisste ihn sehr, und die Zeit bis zur Rückkehr im Juni erschien mir endlos. Im Rückblick erscheinen mir der dritte und vierte Monat des Austauschjahres am schlimmsten, nicht die Weihnachtszeit, wie anfangs vermutet. Um Weihnachten herum plante die Gastfamilie eine Reise, danach sollte das neue Schulhalbjahr mit neuen Fächern beginnen, es gab also wieder Neues zu berichten und zu erzählen. Wir als Restfamilie bereiteten uns auf die Ankunft unserer Gasttochter vor, die Anfang Februar aus Australien zu uns kommen sollte und waren dadurch auch abgelenkt.
Die Auf und Abs waren damit aber noch nicht erledigt: auch im zweiten Halbjahr gab es immer wieder Situationen, in denen ich mir wünschte, dass die Zeit schneller verginge. Ich halte mich durchaus nicht für eine klammernde Mutter, aber ich hatte doch unterschätzt, was es bedeutet, ein Mitglied der Familie für einen so langen Zeitraum nicht persönlich sprechen zu können, nicht in den Arm nehmen zu können. Diese Belastung traf nicht nur mich, unterschätzt hatte ich dies auch für andere Verwandte, wie z.B. die Großeltern, für die latent die Sorge dazu kam: was mag in einem Jahr sein? Sehen wir den Enkel wieder?
Irgendwie verging dann aber auch der Frühling, und als wir erst einmal mit den Vorbereitungen für die Rückkehr anfingen, raste die Zeit auf einmal dahin: im Haus musste wieder Platz geschaffen werden für den Heimkehrer, und das bedeutete einige Räumerei, damit dann auch die letzten Umzugskartons verschwunden waren. Nun überwogen Gedanken wie: Hat er sich wohl sehr verändert? Wie wird unser Zusammenleben künftig verlaufen? Findet er wieder schnell Anschluss an alte Freundschaften? Im Geschwisterkreis? Unsere beiden Kinder bildeten inzwischen eine verschworene Gemeinschaft mit unserer Gasttochter - wie würde sich diese Konstellation ändern?
Alle Gedanken waren allerdings vergessen, als wir dann wirklich am Flughafen standen und unseren Sohn wieder in den Arm nehmen konnten - bei mir tränenreich (ich bin so), bei allen anderen zumindest auch recht sprachlos, vor allem bei unserem Sohn selbst, der einige Tage lang Schwierigkeiten hatte, sich im Deutschen zurechtzufinden und immer wieder ins Englische zurückfiel. Er stand einige Zeit zwischen zwei Welten, voller Freude, wieder zuhause zu sein, und trotzdem voller Heimweh nach seiner zweiten Familie.
Inzwischen ist auch hier der Alltag wieder eingekehrt; umwälzende Veränderungen hat es nicht gegeben; unser Sohn erscheint uns offener, selbstbewusster, freundlicher als früher, aber er ist - zum Glück - doch er selbst geblieben. Er selbst hält weiterhin Kontakt zu seiner Familie, wir anderen weniger, wir hatten uns auch im Laufe des Jahres zurückgehalten, freuen uns aber auf einen Gegenbesuch, der evtl. im nächsten Jahr stattfinden wird.
Auch wir als Daheimgebliebene sind um Erfahrungen reicher geworden. Empfehlen kann ich auf jeden Fall, während des Austauschjahres selbst Gastfamilie zu werden; wir konnten manche Erfahrungen unseres Sohnes besser verstehen, sind vielleicht auch sensibler für Probleme unserer Gasttochter. Wir werden Austauschbegeisterte bleiben, bereiten gerade den nächsten Aufenthalt vor, diesmal wird es ein "echter" Austausch, wenn unsere Tochter in die Familie unserer Gasttochter geht.
Wir bedanken uns bei 'KulturLife' für ein immer offenes Ohr, für hervorragende Betreuung und einen reibungslosen Ablauf des High School-Jahres unseres Sohnes und bleiben Ihnen auch beim nächsten Austausch treu!
Mit herzlichem Gruß
Andrea