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Josef, ein Halbjahr Schule in Kapstadt

Die Zeit vergeht wie im Flug

Schule und Alltag

Es fühlt sich schon an wie eine ganze Weile, die ich nun hier bin. Ich habe schon so wahnsinnig viel erlebt und mich so gut hier eingefunden, dass es kaum zu glauben ist, dass das alles in zwei Monaten passiert ist. Andererseits ist es irgendwie auch erstaunlich, wie wenig Zeit jetzt nurnoch bleibt: Etwas mehr als ein Drittel ist nun schon vorbei.

Nach dem gut überstandenen Kulturschock und der Eingewöhnungs- und Kennenlernphase beginnt nun der Alltag und so ein bisschen das richtige 'Leben' hier. Mein typischer Tagesablauf sieht ungefähr so aus:

06:30 Frühstück
07:30 Aufbruch zur Schule
08:00 Schulbeginn
15:20 Schulende
15:45 'Snack'-Mittagessen
16:00 Hausaufgaben, Volunteer-Work, Pool Cleaning, Fussballtraining oder Stadt erkunden
18:30 Kochen für Abendessen (mit Schwester Tammy und Mummy)
20:00 Grosses Abendessen
20:30 Abwasch und Küche säubern (mit Schwester Tammy)
21:30 Schlafen gehen

Wie man hier wahrscheinlich sieht, nimmt die Schule bereits einen gewaltigen Part des Tages ein. Sie geht deutlich länger als meine Schule in Deutschland, hat aber auch einen viel komplexeren Stundenplan, bei dem die Zeiten der Stunden jeden Tag variieren. Es gibt zwei mal wöchentlich 'Assembly', wo sich die ganze Schule versammelt und alle möglichen Ansagen und Ankündigungen für die nächsten Tage gemacht werden. Die sind immer sehr anstrengend und meistens nicht ganz so wichtig (es werden tausende von schulischen 'Sport-Reports' gelesen, was letztendlich alle ziemlich langweilt).

Das Tragen der Schuluniform war anfangs etwas seltsam, hat sich aber inzwischen voll zur Gewohnheit entwickelt. Meine Schule, Muizenberg High, hat einen blaün Blazer, eine blau weisse Krawatte, weisses Hemd und graü Hose als Uniform. Dienstags und Donnerstags gibt es die sogenannten 'Extra-Murals', ein breites Angebot an AG's, von denen man wahelen muss. Diese Extra Mural geht dann eine Stunde. Angeboten werden viele Sportarten wie Tennis, Rugby, Basketball, Cricket (Südafrikas Nationalsportart, die hier wirklich sehr sehr beliebt ist, allerdings unglaublich viele Regeln hat, von denen ich jetzt fast die Hälfte verstehe) und Fussball. Ausserdem die 'Societies', also so etwas wie Musik, Mathe Nachhilfe, Deutsch lernen (von einem anderen deutschen Austauschschüler auf meiner Schule geleitet), ein Kochkurs und vieles mehr. Ich habe Fussball gewählt und komme so mit einigen Südafrikanern in Kontakt. Das Freunde Finden ist hier an der Schule zugegebenermassen nicht gerade leicht. Es gibt zwar einige nette Leute hier, mit denen ich auch schon gute Freundschaften geschlossen habe, aber dadurch, dass wir sage und schreibe NEUN deutsche Austauschschüler auf dieser Schule sind, ist es oft sehr schwer, sich von diesen zu lösen. Es gelingt mir jedoch mit der Zeit mehr und mehr und ich mache bessere Bekanntschaften mit südafrikanischen Mitschülern.

Das Fächerwahlprogramm beginnt hier schon ab der zehnten Klasse, sodass ich bereits wählen musste. Mathe, Englisch Afrikaans und Life Orientation (ein ziemlich unnötiges Fach über Selbstfindung und -verhalten) waren verpflichtend, dazu gewählt habe ich noch Geography, Music und CAT (Computer Application Technology), was eigentlich eine ganz gute Kombination ist: nicht zu leicht und nicht zu schwer.

Mathe ist hier eindeutig das leichteste Fach, der Stoff der zehnten Klasse ist bei uns in Deutschland bereits in der achten Klasse durchgenommen worden, sodass das eigentlich für uns ziemlich leicht ist. Während Afrikaans-Stunden dürfen wir Austauschschüler in die Bibliothek gehen, da wir dort kaum Chancen haben, mitzumachen, denn die Mitschüler hier sind alle schon sehr fortgeschritten in der Sprache, auch wenn sie nurnoch wenige als Muttersprache sprechen. Ich hatte die ersten drei Stunden mal zugehört und versucht, reinzukommen, doch das fordert sehr sehr viel Arbeit, um all die Jahre aufzuholen, auch wenn es etwas ähnlich wie Deutsch klingt. Es gibt hier auch sehr lustige Fächer, wie zum Beispiel Tourismus, in dem man Dinge lernt wie: Wo steht der Eiffelturm? Wie hoch ist die Freiheitsstatü?

Generell ist die Schule hier relativ einfach, verglichen mit der deutschen Schule. Es ist nunmal auch ein ganz anderes System hier und die Unterrichtsmethoden unterscheiden sich deutlich von den deutschen. So besteht der Unterricht hier meistens aus von der Tafel abschreiben und zuhören.

Wie schon gesagt, sind die anderen Schüler hier ganz nett und eigentlich macht die Schule sogar ein bisschen Spass. Letzte Woche war hier Test-Week, die Arbeiten und Tests sind hier nämlich nicht auf die Wochen verteilt, sondern werden alle in einer Woche geschrieben. Jeden Tag zwei Tests über eineinhalb Stunden, manchmal auch nur ein Test. Generell habe ich dort ganz ordentlich abgeschnitten, es gab ein paar Ausrutscher aber auch ein paar Erfolge, so lag CAT knapp unter 50 Prozent, Musik aber bei den vollen 100 Prozent, hier gibt es ja keine Noten, sondern Prozente.

Wenn ich dann aus der Schule nach Hause komme, bin ich meistens ziemlich kaputt, weshalb ich abends auch relativ früh schlafen gehe. Nachmittags gehe ich oft die Stadt erkunden, was aber wegen der mangelnden Transportmöglichkeiten oft schwierig ist: Mummy fahert kein Auto und Daddy ist bis spät arbeiten und Zugfahren ist zwar möglich, jedoch ziemlich gefaherlich, sowohl an der Haltestelle, wie auch im Zug selbst.

Ansonsten mache ich den Pool sauber, eine meiner Aufgaben in der Familie, was viel mehr und anstrengender ist, als man denkt. Ausserdem gehe ich jetzt ein bis zweimal pro Woche zu einem Projekt namens CAFDA, einer Nachmittagsbetreuung für Kinder, das praktischerweise direkt über die Strasse liegt. Dort helfe ich mit, spiele mit den Kindern, unterhalte mich mit ihnen oder lese ihnen etwas vor. Wenn man dann mal ein bisschen mit ihnen spricht, erfahert man oft von ihrem Leben und ihrer Familie, die oft grosse Probleme hat und bei denen nicht gerade alles in Butter ist. Diese Geschichten sind manchmal schockierend, aber gleichzeitig ist auch erstaunlich, dass die Kinder trotzdem so fröhlich sind, meistens noch fröhlicher als die Kinder, deren Familie es gut geht.

Bei CAFDA bekommen die Kinder jeden Tag essen und die Möglichkeit, mit anderen Kindern zu spielen und Spass zu haben. Die Arbeit dort ist sehr schön, da man so das Land auch nochmal von einer ganz anderen Seite kennenlernt, als die Seite der Touristen-Attraktionen in Cape Town.

Ich versuche auch, so viele Erfahrungen wie möglich zu sammeln, beispielsweise ist geplant, dass ich demnächst mal einen Nachmittag im AIDS-Bereich eines Krankenhauses verbringe, denn letztendlich sind die Erfahrungen, die man dort sammelt, doch viel wichtiger und geben ein deutlich wahreres Bild von Südafrika als die typischen Schauplätze im City Center.…

Ausflüge und Garden Route Tour

So schnell wie hier die Zeit vergeht, kann man gar nicht mitdenken. Ich wurde mir letztens darüber klar, dass nun 3 Monate rum sind - das heisst, jetzt ist schon Halbzeit! Ich fühle mich inzwischen so wohl und so zu Hause, was man auch daran sieht, dass ich viel selbstständiger werde, mich richtig auskenne und auch ohne meine Gastfamilie losgehen und die Stadt erkunden kann. So mache ich mich nun immer öfter Samstags oder Sonntags auf den langen Weg zum Zentrum, mit Freunden oder auch mal allein, und erkunde die Megametropole Südafrikas. So war ich beispielsweise bereits mit ein paar Freunden auf dem Tafelberg, dem Wahrzeichen Kapstadts, der, wie man schon aus dem Namen schliessen kann, erst sehr steil ansteigt, dann jedoch plötzlich wie abgeschnitten in einer breiten Ebene endet. Die drei Freunde und ich wollten jedoch nicht die langweilige Seilbahn nach oben nehmen, sondern sind in einer dreieinhalbstündigen Wanderung hochgestiegen. Das war, auch weil es an jenem Tag sehr warm war, viel schwieriger als gedacht und man musste alle zwanzig Minuten eine Pause einlegen. Oben angekommen bot sich uns aber einer der schönsten Ausblicke, die man überhaupt bekommen kann - ein Glück, dass wir vorzeitig gut geplant hatten und daher schon morgens losgegangen waren! So hatten wir einen wunderschönen Tag da oben und fuhren abends um sieben (den Sonnenuntergang von oben hatten wir uns natürlich nicht entgehen lassen) mit der Seilbahn nach unten, das Lichtermeer Kapstadts zu unseren Füssen. Einen anderen Samstag verbrachte ich komplett in der Long Street, Kapstadts beliebtester Shopping-Zone, in der ich mich mit Rucksack auf dem Rücken und Stadtkarte in der Hand fühlte wie ein Student in seinen Semesterferien auf 'Backpacker-Tour'. Ich schlenderte durch die Läden, redete ein bisschen mit den Menschen, kaufte mir eine CD mit den bekanntesten Jazz-Musikern Südafrikas drauf und ging anschliessend zu den wunderschönen Gärten Kapstadts, in denen ich eine Stunde auf einer Parkbank das Vogelgezwitscher genoss und am Ende sogar eingeschlafen bin, so entspannend war es dort.

Und dann kam das Allergrösste: Wir gingen mit der Organisation auf die Garden Route Tour, Südafrikas wohl beliebteste Adventure-Reise. Die Tour an sich zieht sich über sechs Tage hin und geht die Ostküste bis kurz vor Port Elizabeth hoch, bevor sich die Richtung um hunderachtzig Grad ändert und es etwas weiter im Innenland den Weg zurück nach Kapstadt geht. Auf dem Weg sammelt man unendlich viele Erlebnisse, bei denen jeder sein Highlight woanders sieht. Ich persönlich fand zwei Sachen besonders toll: Eine Big Five Safari, bei der wir nicht nur auf einem Cabrio-Truck die Tiere auf teilweise 5 Meter Entfernung beobachteten, sondern auch einen super Guide hatten, der uns echt interessante Fakten über die Tiere erzählte. Einen davon hier mal zum Vorschmecken: Der grüne Saft, der bei Elefantenfäkalien dabei ist, besteht aus 95 Prozent Wasser und ist damit tatsächlich gesünder ist als Cola (!).

Der zweite Höhepunkt für mich war am dritten Tag unserer Reise, wo sich jeder in die Hosen machte: Der offiziell höchste Bungy-Jump der Welt! Allein mit einem dicken Gummiseil, welches an den Füssen befestigt ist, sodass man wohl oder übel kopfüber herunterfallen MUSS, habe ich mich in 216 Meter Tiefe gestürzt. Ich glaube, die zwei Minuten vor dem Sprung, in denen meine Füsse zusammengebunden und befestigt wurden, waren die schlimmsten meines Lebens. Das unheilvolle Warten direkt am Abgrund ist unbeschreiblich. Der Sprung an sich war jedoch wunderbar und einmalig, denn wenn man erstmal am 'Ausschaukeln' war, war alles so still und ruhig, während ich alle Orientierung bereits verloren hatte, und es fühlte sich an wie ein Zustand zwischen Trance und halbtot. Es hat sich aber eindeutig gelohnt, besonders weil ich den Beweis für meinen Sprung sowohl auf einer DVD als auch auf Bildern erworben habe und eine Urkunde gratis dazugegeben wurde.

Andere Erlebnisse der Reise waren unter anderem ein Besuch auf einer Straussfarm mit Straussreiten, was man eher Strauss-'Rodeo' nennen sollte, eine Kanutour auf einem wunderschönen Fluss, ein 'Elephant Walk' mit den majestätischen Riesen Afrikas, ein Besuch in einem Pinguin-Reservat, eine Höhlentour (die von Platzängstlern gar nicht erst in Erwegung gezogen werden sollte) und viele Strandbesuche an berühmten Orten wie dem südlichsten Punkt Afrikas oder dem Surfer-Himmel Jeffrey's Bay.

Die gesamte Garden Route Tour war eine einzige Abfolge von unglaublichen Erlebnissen und so wie alles hier auch zu beschreiben ist: ein einmaliges Erlebnis.

Abschied, Vorbereitung auf zu Hause, Schlussbilanz

“Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei.” – Und so geht auch meine Zeit in Südafrika dem Ende zu. Nach fünf Monaten in dieser völlig anderen Welt, an die ich mich inzwischen dann ja doch so stark gewöhnt habe, bleiben nun nurnoch zwei Wochen, um mich von hier wieder zu verabschieden. Der Abschied ist eine sehr traurige Sache. Nicht, dass ich mich nicht auf Deutschland freü, aber mit dem Gedanken, dass ich die meisten meiner Bekannt- und Freundschaften von hier nie wieder sehen werde, weiss man gar nicht so recht, wie man sich nun verabschieden soll: lieber mit einem “wir bleiben per Mail und Facebook in Kontakt” oder etwa einem dahergesagten “wir sehen uns bestimmt bald wieder”? Eines Tages zurückkommen und meine Gastfamilie besuchen möchte ich auf jeden Fall, doch die Frage ist, wann wird das sein und welche meiner Freunde leben dann noch hier?

Aus diesem Grund versuche ich, jede Sekunde mit den Menschen hier zu nutzen, mir zu merken, wie wessen Stimme klingt und den einzigartigen Geruch Südafrikas irgendwie abzuspeichern. Seit einer Woche ist meine Kamera nun schon mein ewiger Begleiter und eine grosse Südafrika-Fahne geht herum, auf der alle mir Nahestehenden ihren Namen und eine kleine Nachricht hinterlassen. Für den Samstag vor der Woche, in der ich nach Hause fahre, ist eine kleine Abschiedsfeier, eine “Bring’n’Braai-Party” (Braai ist das südafr. Wort für Grillen), in Planung, auf die ich mich sehr freue.

Wenn man so lange Auszeit hat, wie ich sie nun hatte, hat man viel Zeit, über sein Leben in Deutschland nachzudenken, über die Dinge, die gut und über die Dinge, die schlecht laufen. Man kommt auf Ideen, an die man nie gedacht hätte und nimmt sich Grosses vor, was änderungen am eigenen Alltag angeht. In mir brodelt eine wahnsinnig hohe Motivation und das macht das Wiederkommen noch spannender.

In dieser grossen Verwirrung was die Frage angeht, ob ich nun lieber noch hierbleiben oder nach Hause wollte, rennen die letzten Tage davon. Es ist sehr gut, dass die Länge des Aufenthalts schon vorher festgelegt wurde, den sonst wüsste ich nun wirklich nicht, was zu tun.

5 Monate lebe ich jetzt hier und da es insgesamt fünf einhalb sind, wird dieser Bericht mein letzter sein. Es ist nicht gerade einfach, einen Strich unter all das zu ziehen und eine Schlussbilanz darunter zu setzen. Bei allem, was passiert ist, bei allem neün, gegen das ich blind dagegengestossen bin und bei allen Erfahrungen, die ich in diesem halben Jahr gesammelt habe, kann ich aber ganz klar sagen, wie unglaublich dankbar ich bin. In erster Linie meinen Eltern und meiner ganzen Familie, weil sie mir, nachdem ich mein Leben lang eine Einstellung gegen Neüs und Unbekanntes hatte, immer wieder einen Schubs gegeben haben und sich somit das Blatt komplett gewendet hat, sodas ich am Ende so dringend wollte, dass sie es mir gar nicht mehr hätten versuchen können auszudiskutieren; zweitens dem Nordlicht-Stipendium, welches das alles überhaupt erst möglich machte und dem ich wirklich super dankbar bin für alle Unterstützung; und dann natürlich auch meine Gastfamilie, die sich dazu bereiterklärt hat, mich aufzunehmen und es dann sogar tatsächlich ein halbes Jahr mit mir ausgehalten hat – sogar mehr als das, sie haben mich so viel mehr unterstützt, als es erwartet wurde, was sie letztendlich auch wirklich zu meiner “zweiten Familie” gemacht hat.

Gott weiss, es war eine grosse überwindung, ganz allein auf eine solche Reise zu gehen. Ich kannte niemanden und nichts, was da auf mich wartete, doch ich bin über meinen Schatten gesprungen. Jedem Leser hiervon, der mit dem Gedanken spielt, einen Auslandsaufenthalt wie meinen zu machen, kann ich nur sagen: Es ist eines der besten Dinge, die man in unserem Alter machen kann! Denn auch wenn es da immer wieder natürlich die Momente gibt, in denen man allein im Zimmer sitzt, die Familie und Freunde von zu Hause vermisst und vielleicht am liebsten nach Hause möchte, ist das nicht vergleichbar mit den Erfahrungen an anderen Tagen, die man sonst sammelt und an denen man so wächst.

Zum Schluss kann ich nur nochmal sagen, dass ich keinen meiner Tage hier bereut habe, auch die schlechten nicht, den auch wenn ich am Tag selbst vielleicht anders denke – Beim jetzigen Zurückblicken auf diese wenigen schlechteren Tage haben diese eigentlich gerade mehr Erfahrungen gebracht und mich in vielem geprägt.

Ich liebe das Land Südafrika und ich werde meine Zeit hier niemals vergessen!

Josef

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