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Miguel, 4 Wochen Volunteer im Umweltprojekt El Paso Verde

Dieser eine September in Ecuador

Ruhe. Einen Monat lang frei von täglichen Sorgen, Herausforderungen und Verpflichtungen. Den Kompass wieder ausrichten und sich wieder mehr auf sich selbst besinnen können. So würde ich meine 4 Wochen in El Limonal und Ecuador beschreiben.

Mit einer großen Portion Ungewissheit und einer kleinen Portion Unsicherheit bin ich am 01.09.2022 in den Flieger nach Ecuador gestiegen. Ungewissheit, weil man bei all der Vorbereitung und jedem Vorbereitungsgespräch trotz allem immer eine andere und unbekannte Situation vor Ort kennenlernen wird, in die man sich einfügen muss. Und gleichzeitig habe ich diese Reise mit zwei Personen angetreten, die mir beinahe unbekannt waren. Man hofft und baut darauf, dass man sich mit ihnen versteht, doch weiß es im Vorfeld nicht. Unsicherheit, weil man sich fragt, ob man für ein solches Abenteuer gewappnet ist. Anderer Kontinent, andere Sprache, auch wenn ich sie spreche, andere Menschen und ein anderes Umfeld, in dem man einen Monat lang arbeiten, leben und sich zurechtfinden muss. Doch manchmal ist das neue Anders, das tausende Kilometer entfernt vom eigenen „Trautes Heim“ erkundet wird, weniger anders und unbekannt als die Nachbarin von nebenan oder dem Wochenendausflugsort in die Natur im eigenen Land.

Ich kann meine Erwartungen gar nicht mehr alle in Worte fassen. Ich wusste nur, dass ich nicht zu viele haben wollte, da bei zu großen Erwartungshaltungen der Fall bei einer Nichterfüllung dieser Erwartungen umso tiefer ist. Ich erinnere mich jedoch daran, dass ich Menschen kennenlernen wollte, an die ich mich noch lange erinnern werde. Ich hatte eine immense Lust in der spanischen Sprache zu kommunizieren, da ich es in Deutschland nur mit einer Handvoll von Menschen praktizieren kann. Ich wollte mich ein wenig aus meinem Alltag abkapseln. Und zuletzt wollte ich von unserem Gastgeber und dem Projektleiter von „El Parque Bambú“ Piet lernen. Von seiner Art zu leben lernen und was sie bewirkt. Ein wenig von seiner Sichtweise und Erfahrung lernen, als jemand, der vor über 30 Jahren Europa verlassen hatte. Und ich wollte für mich persönlich verstehen, was der reduzierte und minimalistischere Lebensstil, mit dem ich in El Limonal konfrontiert war, für mich bedeutet und wie ich damit umgehen würde.

Vier Wochen der Erlebnisse und weitere vier Wochen der Selbstreflexion nach der Rückkehr waren genug Zeit, um die Bedeutung meines Aufenthaltes in Ecuador zu beschreiben.

Eine mittelgroße Bambushütte, bestehend aus einem großem Gemeinschaftsschlafsaal mit sechs Betten, zwei Schreibtischen, einigen Löchern und Schlitzen im Bambus, durch die sich so manche Spinne oder Motte gewagt hat, und einem lichtspendenden Nachttischlämpchen, die mir das abendliche Lesen auch nach dem Einbruch der Dunkelheit ermöglicht hat, konnten wir unser Eigen nennen. Die Hütte war unser Rückzugsort in den Mittagspausen und Schlafsaal bei Nacht. Mehr hatten wir nicht, aber mehr brauchten wir auch nicht. Der Genuss jeden Abend eine eiskalte Dusche zu nehmen, weil es logischerweise keine Boiler gab, war gewöhnungsbedürftig, aber im Hinblick auf die Gaspreise in Deutschland ein großes Geschenk. So habe ich mir in den vier Wochen das Warmduschen abgewöhnt und war überzeugt, es in Deutschland fortzuführen. Drei Tage nach meiner Ankunft duschte ich jedoch wieder warm. Dennoch war man erleichtert, sich nach der Arbeit von dem ganzen Dreck und Schweiß zu befreien, der an einem haftete. Die Arbeit war nämlich mühselig. In meinem Leben habe ich mich noch nie über einen solch „langen“ Zeitraum körperlich betätigt. Und bei Piet gibt es immer etwas zu tun. Das geht von der Suche nach Pflanzen, Bäumen und Wurzeln auf Piets Grundstück, das 15 Hektar groß ist, um diese dann an neue Orten zu pflanzen, damit sie erreichbarer für ihn sind, über das Ausgraben von Löchern für Yuka-Pflanzen, Sähen von Mais, Ernten von Platano-Bananen oder dem Ausheben
eines kleinen Grabens als Wasserzufuhr für die neu gesetzten Pflanzen bis zum Flechten von Körben aus organischem Material. Manchmal haben wir auch kleinere Einkäufe in El Limonal getätigt oder im Haushalt geholfen, Feuerholz gesammelt oder Brötchen gebacken. Und obwohl die Arbeit maximal 5 - 6 Stunden unserer Zeit am Tag beansprucht hat, sehnte man der Mittagspause und dem Wochenende dann doch immer sehr entgegen.

Die Wochenenden waren so erlebnisreich, wie ich es mir gewünscht hatte. Natürlich kann man an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden kein ganzes Land erkunden, erst recht nicht, wenn man sich ein kleines Virus am dritten holt, aber mir ging es auch nie darum, mich mit Erlebnissen und sogenannten „Must-Sees“ zu stressen, sondern das zu sehen und erleben, was möglich ist. So waren wir an einem Wochenende an einem schönen Fluss in der Natur und haben die Sonne, die Temperaturen und die Ruhe genossen. Am darauffolgenden Wochenende waren wir in Otavalo, dass durch seinen „Ponchomarkt“ bekannt ist und bei dem man viele Gelegenheiten finden konnte, Geld für kleine Geschenke auszugeben. Diese Wochenendtrips haben uns immer die Möglichkeit gegeben, etwas mehr von der ecuadorianischen Kultur, die durch ihre Vielzahl an verschiedenen indigenen Völkern und Gruppen geprägt ist, zu erleben. Meiner Meinung nach begegnen sich die Menschen in Ecuador viel mehr auf Augenhöhe. Sie blicken sich auf den Straßen mehr ins Gesicht und grüßen dabei. Sie kommen mit einem viel schneller ins Gespräch, weil sie ehrliches Interesse zeigen. Ich war zudem immer wieder über die unaufgeforderte Hilfsbereitschaft verwundert. Mir wurde nicht selten geholfen, scheinbar auch, weil man mir wohl leicht ansehen konnte, dass ich manchmal hilfsbedürftig war.

Am Ende ist die Zeit dann geflogen und das Erlebnis vorbei und man packt alles, was man mitgebracht hatte, wieder ein, inklusive den neuen erworbenen Gegenständen, die einen an die Zeit in der Fremde zurückerinnern sollen und doch so viel früher in Vergessenheit geraten als die vielen Erinnerungen, die man gemacht hat. Kann ich nun nach dieser Zeit in Ecuador eine Generalempfehlung für eine kürzere oder längere Zeit im Ausland ausgeben? Ja und nein. Es ist nun mal am Ende personenabhängig, ob man eine solche Herausforderung meistern kann, obwohl ich es jedem wünschen würde, dass er oder sie es sich traut. Es braucht aber eben auch die richtige Einstellung und auch persönliche Reife. Ich garantiere dennoch, dass es für jede Person, die sich traut, diese Reise anzutreten, eine große Erfahrungsbereicherung sein wird. Für mich war es dies allemal. Denn alles, was so anders an Ecuador war, war doch gleichzeitig oft schön und manchmal auch sehr vertraut. Am Ende meines einen Monats habe ich mich gefragt, ob vielleicht das „Anders- und das Gleich-Sein“ gar nicht durch Grenzen und Entfernungen, sondern Menschen definiert wird.

Miguel

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