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Ein Auslandsjahr in der Karibik – das ist genauso schön, wie es klingt!

Nordlichtstipendiatin Alicia, 1 Jahr auf Martinique

September - Mein erster Monat auf Martinique

Vor etwa einem Monat kam ich auf Martinique an, schnupperte zum ersten Mal karibische Luft und ließ mich auf ein Abenteuer ein, das ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht richtig einschätzen konnte. Auch wenn ich heute, genau 28 Tage später, noch immer viel Neues hier entdecke, ist einiges schon Alltag geworden. Das zeigt mir, dass ich mich langsam eingelebt habe auf dieser wunderschönen Karibikinsel, die mir vor vier Wochen noch so fremd war, als ich am Flughafen voller Vorfreude auf meine Gastfamilie zuging. Der erste Kontakt mit ihnen war herzlich, ich spürte, dass sie sich freuten, mich zu sehen.

Als wir den klimatisierten Flughafen verließen, traf mich die Hitze wie ein Schlag. Natürlich wusste ich im Voraus, dass die Temperatur auf Martinique immer bei etwa 30 °C liegt, aber um eine wirkliche Vorstellung von dem Klima zu bekommen, muss man es am eigenen Leibe spüren.

Das erste Abendessen mit der Gastfamilie gab mir ein gutes Gefühl: Ich bemühte mich, viel zu sprechen und war umso glücklicher, dass ich auch keine Probleme hatte, sie zu verstehen.

Am nächsten Tag stand mir ein Ausflug in den Süden der Insel, nach Saint-Anne, bevor. Als wir dort ankamen, konnte ich meinen Augen kaum glauben: Das transparente Wasser schimmerte türkis, der Sand fühlte sich weich und fein an und überall um mich herum waren Palmen. Ich fühlte mich wie im Paradies und genoss die Zeit am Strand in vollen Zügen.

Den Tag darauf besuchten wir das Internat, in dem ich unter der Woche untergebracht werden würde. Da es direkt an der Schule angeschlossen ist, habe ich auch schon mein „Lycée“ sehen können. Ich war beeindruckt von dem riesigen Schulgelände und von dem Ausblick, der sich mir bot: Sowohl von den Klassenräumen als auch vom Schulhof aus ist das karibische Meer zu sehen.

Das Internat ist besser ausgerüstet, als ich erwartet habe: Jeder Schüler besitzt neben einem Bett und einem geräumigen Kleiderschrank auch einen Schreibtisch, einen Nachtisch und ein Waschbecken mit Spiegel. Natürlich sollte man sich nicht auf einen europäischen Standard einstellen, aber das hatte ich auch nicht gemacht und somit war ich wirklich positiv überrascht von meinem Zimmer.

Ein paar Tage später, als die Schule begann, schlief ich das erste Mal dort. An einige Dinge – wie beispielsweise an die laute Internatsklingel, die pünktlich um 5:45 Uhr zum Aufstehen, um 6:20 Uhr zum Frühstück, um 18:20 Uhr zum Abendessen und um 19:00 Uhr zur Hausaufgabenstunde klingelt – musste ich mich erst einmal gewöhnen. Es dauerte nicht lange, bis mir der durchstrukturierte Ablauf sogar richtig gut gefiel, weil man den Tag dadurch optimal nutzen kann und durch die abendliche „Etude“ von 19:00 Uhr bis 20:30 Uhr, bei der wir alle an Einzeltischen bei vollkommener Stille Hausaufgaben machen müssen, bin ich gezwungen, mich mit dem Stoff in der Schule auseinanderzusetzen. Das hilft mir sehr beim Verbessern meiner Sprachkenntnisse!

In der Schule komme ich ziemlich gut mit. Ich bin in der Première Littérature, was dem Sprachenprofil einer 11. Klasse entspricht. Im Gegensatz zu Deutschland hat man hier im Zweig Literatur allerdings fast keine Naturwissenschaften, sondern ist ganz und gar auf Sprachen konzentriert. Ich habe beispielsweise kein Mathe, dafür aber zehn Stunden Englisch in der Woche. Der Englischunterricht ist hier aber sehr leicht, denn wir behandeln Themen, die ich in Deutschland schon in der 6. Klasse gehabt habe. Am meisten lerne ich im Französischunterricht, denn die Lehrerin behandelt mich wie eine französische Schülerin, was mir sprachlich sehr weiterhilft. Sie hat mich beispielsweise schon aufgerufen, um der ganzen Klasse einen französischen Text aus dem 16. Jahrhundert vorzulesen und sie nimmt mich auch häufig beim Besprechen der Hausaufgaben dran.

Bei den meisten anderen Lehrern komme ich leider kaum zu Wort, was daran liegt, dass sie typisch französisch „Frontalunterricht“ betreiben. Das bedeutet, dass sie einen zweistündigen Monolog halten und wir Schüler währenddessen Notizen machen müssen. Gerade am Anfang war dies noch sehr ungewohnt und anstrengend für mich, aber mittlerweile klappt das Mitschreiben schon um einiges besser, sodass ich nur noch selten jemanden fragen muss, ob ich sein Heft ausleihen kann, um die Notizen zu übernehmen. Wenn ich dann doch mal etwas nicht verstanden habe, erklärt sich immer jemand von meinen Mitschülern bereit, mir zu helfen. Sie sind alle sehr hilfsbereit und aufgeschlossen, weshalb ich mich richtig wohl in meiner Klasse fühle. Ich finde es schwierig, nach einer derartig kurzen Zeit schon von „Freunden“ zu sprechen, aber es gibt ein paar Mädchen, mit denen ich mich so gut verstehe, dass es mir vorkommt, als würde ich sie schon lange kennen.

Durch den Wechsel von Internat und Gastfamilie vergeht die Zeit hier wahnsinnig schnell. Kaum fängt die Schule an, ist es auch schon wieder Freitag, was bedeutet, dass nach dem Unterricht meine Gastmutter auf mich wartet.

Am Samstag bleiben wir immer zuhause, machen Hausaufgaben und ruhen uns aus – die Entspannung kommt aber auch an den anderen Wochentagen nicht zu kurz, denn die Einwohner Martiniques gehen gerne alles langsam an. Diese Ruhe, die das völlige Gegenteil von meinem stressigen Alltag in Deutschland darstellt, tut mir richtig gut!

Sonntags fahren wir meistens ans Meer, denn davon kann man hier einfach nicht genug kriegen. Manchmal kann ich mein Glück gar nicht richtig fassen: Ein Auslandsjahr in der Karibik – das ist genauso schön, wie es klingt!

Oktober - Freundschaft braucht Zeit

„Mir ist in diesem Monat bewusst geworden, dass es seine Zeit braucht, bis aus Bekanntschaften Freunde werden.“

Laut meinem Kalender soll es Ende Oktober sein, aber wenn ich aus dem Fenster schaue, kann ich das gar nicht glauben: Die Sonne scheint und es ist so heiß, dass meine Gastfamilie den Ventilator Tag und Nacht eingeschaltet lässt. Mir kommt es immer noch vor wie August und daher kann ich gar nicht glauben, dass meine ersten beiden Monate schon um sind.

Andererseits habe ich mich hier so sehr an den Alltag gewöhnt, dass ich mir gar nicht richtig vorstellen kann, dass ich mal ein anderes Leben als dieses hier geführt habe. Mein Zeitgefühl spielt also ein wenig verrückt.

Die größte Veränderung in diesem Monat war, dass ich mit Leichtathletik angefangen habe. In den ersten vier Wochen hier konnte ich keinen Sport machen, weil ich mir gleich zu Beginn im Sportunterricht eine Bänderdehnung zugelegt hatte. Anfang Oktober aber konnte ich loslegen und schon nach dem ersten Training fühlte ich mich sehr gut und dabei blieb es auch, denn durch den Sport komme ich unter Leute und kann gleichzeitig von den langen Schultagen abschalten.

Die Schule ist immer noch sehr ermüdend, denn es ist anstrengend, den größten Teil des Unterrichts nur mit Zuhören zu verbringen, da hauptsächlich der Lehrer spricht. Zum Glück verstehe ich aber fast alles und auch die Arbeiten und Tests bereiten mir keine Probleme. Ein wenig überrascht war ich trotzdem, als ich die ersten Noten bekam und feststellte, dass ich sogar besser war als der Großteil meiner Mitschüler. Ich bemühe mich aber auch sehr, so gut wie möglich mitzumachen und nehme Herausforderungen an. In Französisch zum Beispiel müssen wir als Hausaufgabe oft lange Aufsätze schreiben, die eingesammelt und benotet werden. Am Anfang dachte ich, das würde ich nie schaffen, aber nachdem ich die erste Analyse zu einem Text aus dem 16. Jahrhundert fertig hatte, war ich wirklich stolz auf mich. Wahrscheinlich hatte ich zehnmal länger daran gesessen als meine Mitschüler, aber das war es wert. Auch wenn es mehr Arbeit bedeutet, bin ich sehr froh, von den Lehrern wie eine französische Schülerin behandelt zu werden. In diesem Monat hatte ich viele Freistunden, weil einige meiner Lehrer sowie ein paar meiner Mitschüler auf Reisen waren. Leider waren auch die Mädchen weg, mit denen ich anfangs am meisten gemacht hatte. Ich war zwar auch in den letzten Wochen nie alleine, weil ich schon sehr viele Leute aus vielen verschiedenen Bereichen kenne, aber trotzdem ist mir in diesem Monat bewusst geworden, dass es seine Zeit braucht, bis aus Bekanntschaften Freunde werden.

In meiner Gastfamilie fühle ich mich sehr wohl, was wahrscheinlich daran liegt, dass ich vollständig in ihr Leben integriert bin. Sie unternehmen häufig etwas mit mir und ich versuche, ihnen auch etwas zurückzugeben, indem ich mit zur Kirche komme, meinen Gastschwestern bei den Hausaufgaben helfe, Aufgaben im Haushalt erledige und ab und zu ein deutsches Gericht koche. Natürlich wird es noch etwas dauern, bis ich eine so enge Bindung zu ihnen aufgebaut habe, dass ich mich bei ihnen hundertprozentig zuhause fühle, aber die Voraussetzungen dafür sind auf jeden Fall gegeben.

Ein besonders schöner Moment in diesem Monat war, als mir eines Morgens nach dem Aufwachen bewusst wurde, dass ich auf Französisch geträumt hatte. Mittlerweile denke ich beinahe durchgehend in meiner „neuen“ Sprache und lese viele französische Bücher. Manchmal lese ich meiner Gastschwester vor, damit sich nicht nur mein Wortschatz, sondern auch meine Aussprache verbessert.

Am Anfang habe ich hier jeden Tag so viel Neues entdeckt — das ist nun natürlich nicht mehr der Fall. Trotzdem stoße ich manchmal immer noch auf ein paar Dinge, die mich überraschen: Mir ist zum Beispiel erst vor einigen Tagen aufgefallen, dass die Häuser hier gar keine Klingel haben.

Seit einer Woche haben wir nun Ferien. Allgemein haben die Schüler hier viel mehr frei als wir, denn es gilt das Prinzip: Auf sechs Wochen Unterricht folgen mindestens zwei Wochen Ferien. Die Entspannung kommt auf Martinique also nicht zu kurz!

Diese Woche sind wir zuhause geblieben, um unsere Hausaufgaben zu machen, denn die Lehrer hier geben auch über die Ferien ziemlich viel auf. Ab morgen verbringe ich mit meinen Gastschwestern und den Großeltern ein paar Tage im Osten der Insel in einem Ferienhaus, das Verwandten meiner Gastfamilie gehört. Ich freue mich schon sehr darauf, denn es liegt direkt am Meer: Wir werden also bestimmt viel Spaß haben.

November - Mein Blickwinkel veränderte sich

„Ich weiß die Freiheiten, die ich in Deutschland hatte, nun umso mehr zu schätzen“

Östlich von Martinique befindet sich eine Gruppe kleiner Inseln und auf einem "Inselchen" hat meine Gastfamilie ein selbstgebautes Ferienhaus. Anfang November verbrachten wir dort drei Tage, die mir immer in Erinnerung bleiben werden. Wir waren ziemlich viele Personen, denn außer den Großeltern, meinen beiden Gastschwestern und mir kamen noch die andere Großmutter, zwei Cousinen, ein Cousin und ein Onkel mit. An zwei Tagen waren wir fast dreißig Leute, da eine Schwester der Großmutter mit all ihren Enkelkindern zu Besuch kam. Langeweile kam also nie auf!

An den wenigen Tagen, die wir dort waren, machte ich mehr neue Erfahrungen, als ich in Deutschland in einem ganzen Jahr machen würde: Ich fuhr Kajak, duschte im Freien, fand einen lebendigen Seestern im Meer und badete im Dunkeln. Als wir aus dem Kurzurlaub zurückkamen, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, wirklich nach Hause zu kommen. Das zeigt mir, dass ich mich mittlerweile vollkommen eingelebt habe.

Kurz darauf ging die Schule wieder los und da es das Ende des ersten Trimesters ist, haben wir in den letzten Wochen besonders viele Arbeiten geschrieben. Die Lehrer hier interessiert es nicht, wie viel man in den anderen Fächern zu tun hat und dadurch kommt es öfters vor, dass wir an einem Tag mehrere Tests schreiben. Die Schüler sind abends nach den langen Schultagen und am Wochenende häufig mit Lernen beschäftigt, weshalb es leider nicht üblich ist, sich außerhalb der Schule zu treffen. Auch in meiner Gastfamilie sollen wir den Samstag nutzen, um unsere Hausaufgaben zu machen. Sonntags unternehmen wir oft etwas, manchmal ruhen wir uns aber auch an dem Tag aus. Es ist eine ganz andere Lebensweise als in Deutschland, doch ich habe mich schnell daran gewöhnt und bin froh, hier Zeit für Dinge zu haben, zu denen ich in Deutschland nur selten gekommen bin, wie zum Beispiel zum Lesen oder zum Zeichnen. Allerdings weiß ich die Freiheiten, die ich in Deutschland hatte, nun umso mehr zu schätzen: Hier ist es beinahe unvorstellbar, mit Freunden alleine ins Kino oder in die Stadt zu gehen. Umso überraschter war ein Mädchen aus dem Internat, als ich sie an einem Mittwochnachmittag fragte, ob sie Lust hätte, mich ins Einkaufszentrum zu begleiten. Trotz anfänglicher Verwunderung sagte sie zu und wir verbrachten einen wunderschönen Nachmittag zusammen. Sie erzählte mir, dass selbst Freundinnen, die sie schon jahrelang kennt, außerhalb der Schule nichts mit ihr unternehmen. Da es ihr aber richtig gut getan hat, machen wir nun öfters etwas zusammen. Um Spaß zu haben, müssen wir nicht zwingend das Gelände verlassen, denn wir können uns nachmittags einfach in unseren Zimmern besuchen. Daher bin ich sehr froh, auf dem Internat zu sein!

Das Mädchen aus dem Internat ist in den letzten Wochen zu einer wahren Freundin geworden, mit der ich über alles reden kann. Von Anfang an gab es viele Leute, mit denen ich mich gut verstanden habe, aber ich musste mich oft bemühen, ein Gesprächsthema zu finden. Das fällt mir mittlerweile viel leichter und ich bin so glücklich, dass ich eine Person gefunden habe, der ich hundertprozentig vertrauen kann.

Zurzeit geht es mir so gut, dass ich den Gedanken an meine Heimreise weit weg schiebe. Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass ich schon drei Monate hier bin, aber dann sehe ich die Weihnachtsdekoration überall und wird mir schlagartig bewusst, wie viel Zeit schon vergangen ist. Sogar den Tannenbaum haben meine Gastschwestern und ich am Wochenende schon geschmückt — und zwar in Shorts bei 30 °C! Weihnachten in der Wärme wird eine ganz neue Erfahrung für mich, aber ich freue mich darauf und bin gespannt, was mich erwartet.

Ich glaube, dass ich mich im Laufe der letzten Monate verändert habe oder zumindest mehr über mich herausgefunden habe. Mir ist deutlich geworden, dass es nur einen Koffer braucht, um ein neues Leben aufzubauen, und dass vieles, das ich in Deutschland habe, überflüssig ist. Außerdem weiß ich nun, wozu ich alles fähig bin, aber auch, wo meine Grenzen liegen. Sogar die Schule sehe ich ganz anders als vorher: Da meine Noten hier keine große Bedeutung haben, folge ich dem Unterricht nicht, um eine gute Zensur zu bekommen, sondern sehe ihn vielmehr als eine persönliche Bereicherung an. Ich merke mir zum Beispiel die Autoren verschiedener Literaturepochen, weil ich das Gefühl habe, es könnte mir eines Tages nützlich sein und nicht, um in der Arbeit gut abzuschneiden.

Oft denke ich über mein Leben nach: Über meine Kindheit, aber auch über meine Zukunft. Mein Aufenthalt hier hat mein Selbstbewusstsein bisher schon sehr gestärkt, sodass mir die Zukunft keine Angst mehr bereitet. Vielmehr habe ich eine Menge Ideen, was ich nach dem Abitur machen könnte und ich könnte mir sogar Studiengänge vorstellen, die mir vorher zu schwierig vorkamen. Neuen Herausforderungen stehe ich offen gegenüber und schon allein dafür hat sich mein Auslandsjahr gelohnt.

Dezember - Kreuzfahrt und karibische Traditionen

„Wir machten eine einwöchige Kreuzfahrt durch den Norden der Karibik.“

Die Weihnachtszeit war dieses Jahr ganz besonders für mich. Viele Traditionen, die ich aus Deutschland kenne, gibt es hier nicht: Es werden weder Plätzchen gebacken noch Kerzen zum Advent angezündet, Nikolaus wird nicht gefeiert und Adventskalender sind auch unbekannt. Ich versuchte, meiner Gastfamilie einige Bräuche näherzubringen, indem ich beispielsweise typisches Weihnachtsgebäck backte. Darüber haben sie sich sehr gefreut, auch wenn sie immer noch nicht verstehen, warum man bestimmte Kekse nur in der Weihnachtszeit isst. Sie haben mich beauftragt, das ganze Jahr über Vanillekipferl zu backen, weil sie darauf nicht mehr verzichten können.

Ich habe einige karibische Traditionen kennengelernt wie zum Beispiel den „Chanté Nwel“. Das ist ein Fest in der Vorweihnachtszeit, in der man zusammenkommt, um kreolische Weihnachtslieder zu singen. Auch im Internat hatten wir ein Weihnachtsfest in der letzten Schulwoche: Es gab ein spezielles Menü, Weihnachtswichteln, Musik und sogar die Wahl einer „Miss Internat“. Wir hatten viel Spaß und sind uns dabei alle ein wenig näher gekommen.

Die Wochen vor den Weihnachtsferien sind schnell umgegangen, weil ich immer beschäftigt war. In der Schule hatte das zweite Trimester angefangen. In Deutschland ist es so, dass es in den letzten Wochen vor Semesterende sehr entspannt zugeht und nach den Zeugnissen erst einmal keine Arbeiten geschrieben werden. Hier ist das ganz anders! Man bemerkt den Übergang zwischen den Trimestern gar nicht, weil immer noch weiter Arbeiten und Tests geschrieben werden, die dann fürs nächste Trimester zählen. Die Zeugnisse werden per Post zugeschickt. Ich war überrascht, als ich meins bekam, und sah, dass ich Klassenbeste war. Damit hätte ich niemals gerechnet!

Außerhalb der Schule war ich oft beim Leichtathletik und an einem Nachmittag hatte ich meinen ersten Wettkampf. Typisch karibisch fing er drei Stunden später an als geplant, ansonsten lief es aber sehr gut.

Am ersten Ferientag ging es endlich los auf eine Reise, auf die meine Gastfamilie und ich schon seit Monaten hingefiebert hatten: Wir machten eine einwöchige Kreuzfahrt durch den Norden der Karibik. Es war genial, jeden Tag woanders aufzuwachen, eine fremde Sprache zu hören und eine neue Kultur kennenzulernen. Als wir die verschiedenen Inseln besuchten und die wunderschönen Landschaften sahen, konnte ich mein Glück gar nicht fassen — ich hatte mir nie im Leben vorgestellt, an Orte wie diese zu kommen. Weihnachten verbrachten wir auf Virgin Gorda, einer englischen Insel, die bekannt für ihre traumhaften Strände ist. Ich fand es unglaublich, am 24. Dezember im kristallklaren Meer zu baden und mich von der Sonne verwöhnen zu lassen. Es war ein toller Tag, der sich aber überhaupt nicht nach Weihnachten angefühlt hat. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es immer noch August ist und ich erst am Anfang meines Auslandsjahres stehe. An einigen kleinen Dingen wird mir dann bewusst, dass ich schon einige Monate hier bin. Anfangs hatte meine Gastmutter mir zum Beispiel nicht erlaubt, mich mit Klassenkameraden zu treffen, da sie die Verantwortung hätte, wenn mir etwas passieren würde. Das fand ich zunächst sehr ungewohnt, da ich es aus Deutschland gewohnt war, meine Freunde auch außerhalb der Schule sehen zu können, aber nach einer Weile ist es für mich normal geworden, an den Wochenenden nur etwas mit der Familie zu machen. Doch als mich in der zweiten Ferienwoche eine Freundin fragte, mit ihr ins Kino zu gehen, wollte ich ihr ungern absagen. Ich bat meine Gasteltern also um Erlaubnis und bekam ihre Zustimmung, weil mein Gastvater frei hatte und mich so bringen und abholen konnte. Für mich war das ein sehr großer Schritt!

An Silvester waren wir bei den Großeltern zum Essen eingeladen. Als der Nachtisch serviert wurde, fiel plötzlich der Strom aus, sodass wir ihn bei Kerzenlicht essen mussten. Das passiert auf Martinique häufig! Nach dem Essen begleitete ich meine Gastschwester zum Babysitten. Um Mitternacht wünschten wir uns ein frohes neues Jahr, Feuerwerk gab es nicht. Ich bin gespannt, was mich 2015 erwartet und kann gar nicht glauben, dass ich die zweite Hälfte dieses Jahres schon wieder in Deutschland verbringe.

„Januar bedeutet für mich auch Halbzeit. Ein komisches Gefühl!“

Zu Beginn des Monats lernte ich eine neue Tradition kennen: Zur Erinnerung an die heiligen drei Könige wird hier den ganzen Januar über die sogenannte „Galette des Rois“ serviert. Das ist ein Kuchen aus Blätterteig mit Mandelcremefüllung, in dem eine kleine Porzellanfigur eingebacken ist. Wer in seinem Stück die Figur findet, wird mit einer Pappkrone gekrönt und ist König für einen Tag. Auch wenn ich nie ein Stück mit einer Figur abbekommen habe, habe ich diese Tradition sehr genossen und mir das Rezept geben lassen. Nächstes Jahr in Deutschland werde ich diesen Dreikönigskuchen auf jeden Fall backen!

Am 05. Januar fing die Schule wieder an. Besonders gefreut habe ich mich darüber, dass ein Mädchen aus meiner Klasse, das drei Monate in Deutschland verbracht hat, zurückgekommen ist. In den Wochen vor ihrem Aufenthalt hatten wir uns sehr gut verstanden und so war es richtig schön, sie wiederzusehen. Ihr Deutsch hat sich in der Zeit sehr verbessert und ich frage mich, ob ich in den letzten Monaten ebensolche Fortschritte in Französisch gemacht habe.

An einem Samstagmorgen traf ich mich mit ihr, um für den Französischunterricht ein Theaterstück auswendig zu lernen. Eigentlich sollte ich nur den Vormittag über bei ihr bleiben, aber ihre Eltern luden mich spontan ein, um mit ihnen zum Strand in den Süden der Insel zu fahren. Es war so schön dort! Wir waren erst baden und als es dunkel war, sind wir noch eine Weile durch die Straßen gegangen. Dort ist alles beleuchtet, es gibt viele kleine Boutiquen sowie Souvenirshops und es herrscht diese ganz besondere Urlaubsatmosphäre, die einen sofort glücklich macht.

 Ansonsten war die Stimmung auf Martinique wegen der Terroranschläge in Frankreich im Januar sehr betrübt. Besonders betroffen fühlten wir uns, weil eine aus Martinique stammende Polizistin getötet wurde. Um Anteilnahme zu zeigen, kleideten wir Schüler uns an dem Tag nach den Terroranschlägen in Schwarz und Weiß und hielten eine Schweigeminute. Im Unterricht, unter Freunden und in der Gastfamilie sprachen wir ausführlich über dieses wichtige Thema — in der letzten Zeit war ein besonders starker Zusammenhalt zu spüren.

Spricht man die Einwohner Martiniques auf den Karneval an, rücken die traurigen Ereignisse für einen Moment lang in den Hintergrund. Schon seit meiner Ankunft wird mir von der sehr ausgeprägten Karnevalstradition hier berichtet. Ende Januar konnte ich dann endlich miterleben, wovon mir schon seit Monaten erzählt wurde: Die Hauptparaden finden an den Festtagen im Februar statt, an den Wochenenden gibt es aber jetzt schon Karnevalsumzüge. Ich bin beeindruckt von der traditionellen Musik, den außergewöhnlichen Kostümen und der ausgelassenen Stimmung. Bei meinem ersten Karnevalsumzug hier ist mir noch einmal richtig bewusst geworden, wie sehr sich diese Kultur von der deutschen unterscheidet.

Januar bedeutet für mich auch Halbzeit. Ein komisches Gefühl! Ich bin sehr froh über meine Entscheidung, ein ganzes Jahr und nicht nur ein halbes gegangen zu sein, denn ich könnte mein neues Leben nicht an diesem Punkt verlassen. Vom ersten Tag an ging es mir sehr gut, manchmal konnte ich aber noch nicht wirklich realisieren, dass das hier mein Zuhause werden würde. Mittlerweile bin ich vollständig angekommen und alles, was anfangs noch so neu war, ist zur Gewohnheit geworden. Es kommt mir manchmal so vor, als würde ich schon Jahre hier leben, weil sich ein richtiger Alltag eingestellt hat. Mein Leben in Deutschland kommt mir unendlich weit entfernt vor und ich kann mir kaum vorstellen, in wenigen Monaten zurückzukehren. Den Gedanken schiebe ich aber erst einmal weg, denn ich möchte die Zeit, die mir noch bleibt, genießen, ohne zu oft an meine Rückreise zu denken.

Februar - ich lebe einfach und ich liebe dieses Leben!

„Ich habe einen geregelten Alltag und einen festen Freundeskreis ... ich lebe einfach und ich liebe dieses Leben!“

Sechs Monate bin ich nun hier. Das heißt, es bleiben mir nur noch 3,5. Die Zahl macht mich traurig und verwirrt mich zugleich. Ich habe immer gedacht, ein Schuljahr wäre lang, hier aber scheint die Zeit verrückt zu spielen. Ich habe Angst, dass sie mir davon rennt und ich plötzlich, ohne es richtig zu merken, am Ende meines Auslandsjahres stehe. Ich möchte nicht, dass es schon vorbei ist, denn ich kann mir nicht vorstellen, mein Leben hier aufzugeben. Ich habe mich so sehr an alles gewöhnt — an die Sprache, die Menschen und die Kultur —, dass es für mich beinahe unvorstellbar ist, in wenigen Monaten all das zurückzulassen.

In der ganzen Zeit hier hatte ich kein Heimweh, aber natürlich war nicht immer alles perfekt. Es gab vereinzelt Momente, in denen ich mich fehl am Platz gefühlt hatte, in denen ich glaubte, nicht richtig dazuzugehören — sei es in der Familie oder in der Schule. Diese Gefühle kamen einfach so, unerwartet, ohne richtigen Grund. Oft ging es mir direkt danach wieder gut, denn es stimmt: Ein Auslandsjahr ist wie eine Fahrt mit einer Achterbahn. Zum Glück hatte ich nur sehr wenige Tiefs und im Vergleich zu den Hochs, zu all den großen und kleinen glücklichen Momenten, sind sie so unbedeutend. Ich würde sagen, dass die Achterbahn zurzeit einfach geradeaus fährt, ohne große Ausschwingungen zu machen. Ich habe einen geregelten Alltag und einen festen Freundeskreis ... ich lebe einfach und ich liebe dieses Leben!

Im Februar habe ich Besuch von meiner Mutter und Schwester aus Deutschland bekommen. Während des Jahres ist das eigentlich nicht empfehlenswert und auch ich habe mir vor ihrer Ankunft ein paar Fragen gestellt: Würde ich gut damit zurechtkommen, mein altes Leben mit meinem neuen zu verbinden? Und wie würde es mir nach ihrer Abreise gehen?

Doch es hat sich herausgestellt, dass die Bedenken unbegründet waren. Es war so schön, ihnen „meine“ Insel zu zeigen, ihnen meine Gastfamilie vorzustellen und ihnen einen Einblick in mein neues Leben zu geben. Es geht mir jetzt, nach ihrem Abflug, sogar noch besser als davor. Es tut gut, zu wissen, dass sie nun eine genaue Vorstellung von meinem Leben haben und mit eigenen Augen gesehen haben, wie glücklich ich hier bin. Ich fühle mich daher nicht mehr verpflichtet, ihnen zu berichten, was ich so mache, denn auch wenn ich mich nicht melde, wissen sie jetzt sicher, dass ich es hier gut habe. Ehrlich gesagt habe ich seit ihrer Abreise kaum Kontakt mehr nach Deutschland, denn ich möchte die restliche Zeit so intensiv wie möglich genießen. Zurück zuhause bin ich schnell genug und dann habe ich genügend Zeit, um alles zu erzählen. Ob ich mich darauf freue, weiß ich aber selbst nicht so richtig.

März - „Nach sieben Monaten kann ich endlich von Freunden sprechen.“

Im März nahmen die Dinge ihren Lauf — während der Woche Schule, Internat und Leichtathletik, Mittwochnachmittags oft Strand und an den Wochenenden Ausruhen bei meiner Gastfamilie. An meinen Alltag habe ich mich richtig gut gewöhnt. Das merke ich auch daran, dass ich nicht mehr so müde bin wie in den ersten Monaten, denn das frühe Aufstehen und die langen Schultage sind für mich Normalität geworden.

Durch die Mittwochnachmittage, an denen ich das Internat verlassen darf, scheint die Woche aber auch kürzer. Als ich an einem Mittwoch am Strand war, traf ich Leute, die Deutsch miteinander sprachen. Da ich sie für deutsche Touristen hielt, fragte ich sie, aus welcher Stadt sie kämen. Es stellte sich heraus, dass sie weder Touristen noch deutscher Nationalität waren. Sie arbeiteten auf einem Kreuzfahrtschiff und verbrachten daher einen Tag auf Martinique. Sie kamen alle aus verschiedenen Ländern und sprachen alle möglichen Sprachen untereinander — mal Spanisch, dann wieder Italienisch, Deutsch, Portugiesisch, Russisch,… Ich war schwer beeindruckt und es wurde mir wieder einmal deutlich, dass Sprachen Türen zu anderen Menschen und zu neuen Kulturen öffnen. Genau deshalb wollte ich schon immer eine längere Zeit im Ausland verbringen. Wohin es aber gehen wollte, stand nicht von Anfang an fest. Vor meinem Abflug beschäftigte ich mich lange mit der Frage nach dem Land, in das ich mein Auslandsjahr verbringen würde. Ich dachte ernsthaft darüber nach, in ein englischsprachiges Land zu gehen, weil ich schon relativ gut Französisch konnte. In dem Moment, in dem ich auf Martinique ankam, wusste ich aber, dass es die richtige Entscheidung war. Das hat bis heute angehalten und ich bin sehr dankbar, für zehn Monate dort leben zu können, wo andere Urlaub machen.

Für mich ist es natürlich nicht Dauerurlaub, denn den Großteil der Zeit verbringe ich ja in der Schule. In der letzten Woche haben wir Zeugnisse bekommen — meine Noten haben sich kaum verändert, ich komme also immer noch gut mit.

In diesem Monat hatten wir gefühlt aber mehr Freistunden als Unterricht, weil für die Lehrer das Schuljahr scheinbar schon zu Ende ist. Anders kann ich mir nicht erklären, warum sie so oft abwesend sind! In Deutschland wäre es nicht vorstellbar, dass so viele Stunden ausfallen, hier scheint es Normalität zu sein. Umso mehr Zeit konnte ich also mit meinen Freunden verbringen.

Nach sieben Monaten kann ich endlich von Freunden sprechen. Von Anfang an war es mein Wunsch, Leute zu finden, bei denen ich das Gefühl habe, dass unsere Freundschaft auch noch nach dem Auslandsjahr anhalten wird. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen, denn ich habe richtig gute Freundschaften geschlossen. Eine Freundin hat mich eingeladen, in den Osterferien mal bei ihr zu übernachten. Darauf freue ich mich schon sehr!

Den Rest der Ferien werde ich mit meinen Gastschwestern in Le Robert bei den Großeltern verbringen. Das finde ich auch gut, denn deren Haus liegt direkt am Meer. Wenn die Schule wieder anfängt, ist es schon Mitte April und somit nicht mehr lange bis zu dem Tag, an dem ich heimfliege.

Meinem Abflug sehe ich mit gemischten Gefühlen entgegen. Ich freue mich einerseits auf zuhause, denn ich habe viele kleine Dinge, wie zum Beispiel mein Fahrrad, eine Badewanne, Schwarzbrot, die öffentlichen Verkehrsmittel…, dort zu schätzen gelernt. Besonders doll freue ich mich darauf, wieder mehr Freiheiten zu haben. Hier bin ich am Wochenende vollständig von der Familie abhängig, weil öffentliche Verkehrsmittel so gut wie inexistent sind. Oft bleiben wir zuhause, um Hausaufgaben zu machen und um uns von der Woche auszuruhen. Auch wenn ich mich gut an diese Lebensart gewöhnt habe, freue ich mich schon sehr darauf, mich wieder spontan mit Freunden treffen zu können beziehungsweise alleine das Haus verlassen zu dürfen.

Andererseits wird mir manchmal richtig mulmig zumute, wenn ich daran denke, dass ich alles, was ich mir aufgebaut habe, zurücklassen muss. Es kommt mir sogar so vor, als würde mein Leben in Deutschland Jahre zurückliegen, weil das hier jetzt mein Zuhause ist. Ich habe mich an alles so sehr gewöhnt, dass ich gar nicht mehr darauf verzichten kann. Die Mahlzeiten zu festen Zeiten im Internat mit meinen Freunden werden mir fehlen, ebenso wie die ständige Aussicht aufs Meer, die einzigartige Vegetation und natürlich das Wetter.  Sind es hier mal „nur“ 25°C, ziehe ich mir schon eine Strickjacke an, weil ich höhere Temperaturen gewöhnt bin. Wie wird es mir dann erst in Deutschland gehen? Den Winter habe ich noch nie gemocht und ich weiß schon jetzt, dass es in diesem Jahr für mich noch viel schwieriger wird, ihn zu überstehen.

Ich habe hier Momente erlebt, in denen ich ausnahmslos glücklich war — wahrscheinlich glücklicher, als jemals in meinem Leben zuvor. So ging es mir zum Beispiel jedes Mal, wenn wir mit dem Boot unterwegs waren. All die Eindrücke — die Landschaft, das Meer… — haben dazu geführt, dass ich in einem vollkommenen Glückszustand war. Solche Momente würde ich am liebsten irgendwo aufbewahren, wo ich jederzeit Zugriff drauf habe. Dann könnte ich sie in Deutschland einfach herausholen, wenn es mir nicht so gut geht.

Aus diesem Grund mache ich sehr viele Fotos hier. Sie werden mich immer an diese wunderschöne Zeit erinnern!

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