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Austauschprogramm Kanada: Wie alles begann

Elternbericht - Isabelle über das Semester ihrer Tochter in Kanada

Schüleraustausch in Québec, Kanada

Anfang Januar hatte ich mit meiner jüngsten Tochter Anna einen Termin beim Kieferorthopäden in Saarbrücken. Meine älteste Tochter Sarah wollte mitfahren und in dieser Zeit in die Stadtbibliothek gehen. Treffpunkt war ein kleines Eiscafé. Sarah erzählte dort ganz stolz, dass sie ein Austauschprogramm für Schüler, die gerne ins Ausland gehen möchten, gefunden hätte, über das sie sich gerne einmal näher im Internet informieren wollte. Ich weiß noch, dass ich damals ganz beruhigt dachte, ja ... ja.

Zuhause angekommen, gesagt, getan - ab ins Internet. So ging das dann tagelang. Irgendwann kam Sarah an und meinte, jetzt steht es 80%, dass ich nicht gehe und 20%, dass ich gehe. - Gedanken einer Mutter - na, du kannst es ruhig angehen lassen - keine Gefahr in Sicht. Trotzdem haben wir zwei schon lange Gespräche geführt über das Für und Wider, die schulischen Auswirkungen etc.. Dann kam von Sarah die lapidare Mitteilung, Mama, jetzt hat es sich geändert - es steht 80%, dass ich gehe und 20%, dass ich nicht gehe. So, jetzt war es soweit - jetzt hieß es für mich Auseinandersetzung mit dem Thema und Begleitung für mein Kind; das hört sich alles so undramatisch im Aufschreiben an, aber in mir kam eine unendliche Angst hoch - ein halbes Jahr ohne meine große Tochter und sie war doch mal so krank und dann so weit weg - ANGST - ich packte mich beim Schopf - gib deinen Kindern Wurzeln, aber gib ihnen auch Flügel, danach hatte ich immer versucht zu leben, also bitte jetzt auch!

Viel Arbeit kam auf uns zu (Gott sei Dank - Viel Arbeit - wenig Zeit zum Nachdenken und Grübeln, wenig Zeit für Schmerz), welche Organisation ist gut und zuverlässig - endlich fündig - welches Land, welche Sprache? Heraus kam Kanada und Französisch (Mutter denkt: weiter weg ging es ja wohl nicht mehr). Welches Schuljahr und wie lange - Sarah gehört dem ersten G 8 Jahrgang an - also geht nur die neunte Klasse problemlos - ein halbes Jahr, das reicht, da kommt man auch noch einmal gut in seine Klassengemeinschaft zurück und kann das "deutsche" Lernen lernen, bevor es dann in der zehnten Klasse richtig Ernst wird. Finanzierung, auch ein Thema, alle Reserven auflösen, Verzicht auf Bafög, da wir die neunte Klasse gewählt haben und die Förderung noch nicht auf G 8 reagiert hat. Seitenlanges Ausfüllen von Formularen und Papieren, alles in Französisch, für Sarah die Beschreibung ihrer Person, für das Finden einer passenden Gastfamilie, die Schulleistung für das richtige Einstufen in Kanada, für die Klassenlehrerin die Beurteilung von Sarah in ihrer Klassengemeinschaft und ihrer Leistung in Französisch, für mich die Einschätzung meiner Tochter, z.B. welche Hausarbeiten sie erledigt, wie selbständig sie ist, ob sie einen solchen Schritt packt, wie ich dazu stehe, etc.

Ärztliche Untersuchungen und Impfungen, das Vorbereitungsseminar im Mai in Köln - all diese Zeit war randgefüllt mit Arbeiten und Organisatorischem, wir kamen kaum zum Luftholen, viele Gespräche, viele Erledigungen. Jetzt war es Mitte Mai und Anfang August sollte Sarah losfliegen. Noch so viel Zeit. Aber auch viel Zeit für Gedanken - jetzt geht der "Wurm" ein halbes Jahr weg, ist an seinem Geburtstag nicht da, an Weihnachten nicht, an Sylvester, oje, oje. Was ist, wenn mit dem Flugzeug etwas passiert, was ist, wenn dort etwas passiert?

Manchmal hätte ich gerne mein Herz und meinen Kopf abgeschaltet, vielleicht hänge ich aber auch zu sehr an meinen Kindern. Trotz alledem habe ich es aber geschafft, mit Sarah viele schöne und lange Gespräche zu führen und ihr das Gefühl gegeben, da kommt etwas Tolles auf sie zu. Manchmal habe ich auch über meine Ängste mit ihr gesprochen, es war sehr schön, sie hat es verstanden, aber es hat sie nicht belastet. Die Ehrlichkeit hat uns beiden gut getan. Im Nachhinein bin ich richtig froh und stolz darauf, dass alles so gekommen ist, wie es kommen musste.

Wenn Sarah und ich uns heute schreiben oder telefonieren - wenn sie ihre Eindrücke schildert über das Land, die Schule, die Menschen, ihre Gastfamilie etc. - es ist einfach nur schön und erlebenswert für uns beide. Diese Erfahrungen kann sie ein Leben lang konservieren. Jetzt zähle ich schon die Tage, bis sie wiederkommt und freue mich riesig, aber da meldet sich auch schon erneut mein kleiner geistiger Teufel - wie wird es sein, wenn sie zurückkommt - ein halbes Jahr Entwicklung, das ich nicht miterlebt habe - egal, ich würde es jederzeit noch einmal machen. Diese unsäglichen Wenn und Aber gehören in die Schublade und ZU.

Wie heißt das alte Wanderlied, es fällt mir jetzt immer wieder ein -

"Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt".

Gesagt - Getan.

Isabelle